Der Gleichheitsbegriff bei Jean-Jacques Rousseau

Eine Betrachtung auf Grundlage der "Abhandlung über die Ungleichheit" und des "Gesellschaftvertrags"



Prolog

Die nachfolgende kleine Abhandlung über Jean-Jacques Rousseaus Gedankengänge zur Gleichheit wird sich nahezu ausschließlich an den Quellentexten orientieren.
Der Beschäftigung mit der Sekundärliteratur ließe sich eine eigene Arbeit widmen. Wenn man hierbei Rousseaus Ansatz desVolonté générale zugrunde legen würde, ließe sich etwa die Frage danach stellen, inwiefern eine Argumentation gegen diesen Ansatz diesen überhaupt berühren kann?
Der Titel dieses Werks könnte dann beispielsweise lauten:

"Rousseaus Volonté générale und dieSonderinteressen seiner Interpreten"

Beim Studium der Sekundärliteratur wird deutlich, dass sich an Rousseau nach wie vor die Geister scheiden. Je nachdem welches Interesse der jeweilige Interpret verfolgt, reicht dann die Bandbreite der Be(Ver)urteilungen Rousseaus von "Theoretiker des Liberalismus" bishin zu "Theoretiker des Totalitarismus".
Fest steht, dass sich Rousseaus Gedankengänge selbst an dem von ihm definierten Volonté générale messen müssen. Denn auch seine Werke sind - unabhängig ihres Anspruches und ihrer auf das Allgemeine gerichteten Zielrichtung - letztendlich nur Ausdruck eines Individuums und entspringen somit in der Konsequenz selbst einem Sonderinteresse.
Eine weitere Arbeit ließe sich somit etwa mit

"Rousseaus Volonté générale im Spiegelbild seines eigenen Interesses"

betiteln.
Dies alles berührt jedoch nicht den Gegenstand der nachfolgenden Arbeit und soll daher ohne weitere Berücksichtigung bleiben. Oder um es mit Rousseau zu sagen: "Beginnen wir also damit, alle Tatsachen beiseite zu lassen, denn sie berühren nicht unsere Frage." [*]



1 Einleitung

Ausgangspunkt jeder Betrachtung zur Gleichheit ist das Faktum der bestehenden Ungleichheit zwischen den Menschen. In einer Gesellschaft, in der tatsächliche Gleichheit bestehen würde, gäbe es auch keinen Anlass, den Gleichheitsbegriff zu untersuchen. Wenn die Gleichheit dem Menschsein in der Gesellschaft immanent wäre, wäre der Gleichheitsbegriff lediglich für die Mathematik und hinsichtlich der Beobachtung der Naturvorgänge von Bedeutung - als politisch relevanter Begriff hingegen völlig bedeutungslos.
Für eine Betrachtung des Gleichheitsbegriffs ist somit die Betrachtung der Ungleichheit, ihrer Ursachen und ihrer Gerechtfertigtkeit zweckmäßig. Auch Rousseau geht bei seinem - im Laufe der vorstehenden Arbeit zu ergründenden - Gleichheitsbegriff zunächst von der bestehenden Ungleichheit aus. Anlass seiner ersten diesbezüglichen ausführlichen Überlegungen war eine Preisfrage der Akademie von Dijon aus dem Jahr 1753 - "Welches ist der Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, und ist sie durch das natürliche Gesetz gerechtfertigt?" - die gleichfalls der obigen Überlegung folgt.
Neben der Antwort Rousseaus auf diese Frage, die als "Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen"[1] vorliegt, ist Rousseaus "Gesellschaftsvertrag"[2] für die Diskussion des Gleichheitsbegriffs von größter Bedeutung. Obgleich die (Un)Gleichheit dort in keinem Kapitel explizit behandelt wird, ist für Rousseaus im "Gesellschaftsvertrag" entworfene Gesellschaftsidee, zum einen eine Vorstellung dieses Begriffs notwendig, zum anderen folgt aus ihr eine solche.
Rousseau unterscheidet konsequent die natürliche Ungleichheit zwischen den Menschen - die im nachfolgenden Kapitel behandelt wird - und die gesellschaftliche Ungleichheit - die im Anschluss daran betrachtet wird.
Im Hauptabschnitt dieser Arbeit wird sodann Rousseaus Vorstellung eines Sollzustands von Gleichheit in einer Gesellschaft diskutiert. Grundlage dieses Abschnitts ist Rousseaus "Gesellschaftsvertrag".

2 Die natürliche (Un)Gleichheit

Für die Bestimmung der natürlichen Ungleichheit ist es unerlässlich, eine Vorstellung von einem vorgesellschaftlichen Zustand - dem Naturzustand zu gewinnen.

2.1 Der Naturzustand

Rousseau bemängelt, dass zwar alle Philosophen, bei Untersuchungen bezüglich der Grundlagen der Gesellschaft, die Notwendigkeit erkannten, bis zu einem Naturzustand zurückzugehen, diesen aber niemals erreicht haben.[3] Alle "haben sie, unaufhörlich von Bedürfnis, Habsucht, Unterdrückung, Begierden und Stolz redend, Begriffe auf den Naturzustand [état de nature] übertragen, die sie der Gesellschaft entnommen haben."[4]
Rousseau geht daher bis zu dem denkwürdigen Augenblick zurück, an dem sich der Mensch vom Affe schied, wobei er die vereinfachende Annahme macht, dass der Mensch von Beginn an die heutige Gestalt hatte.[5]
Der Mensch - in diesem Zustand von Rousseau als Wilder bezeichnet - ist von Natur aus friedlich,[6] hat von den Tieren kaum etwas zu befürchten[7] und findet seine größten Feinde in den natürlichen Gebrechen: der Kindheit, dem Alter und den Krankheiten.[8]
Der Mensch unterscheidet sich bis dahin überhaupt nur dadurch vom Tier, dass jenes bei seinen Verhaltensweisen rein instinktgesteuert ist, während dieser die Fähigkeit zur freien Handlung hat.[9] Im ersten Stadium der Menschheit bedeutet dies jedoch nicht mehr, als die Differenzierung von Wollen und Nichtwollen und von Begehren und Fürchten. Prinzipiell hat er allerdings zunächst keine weiteren Bedürfnisse als die nach Nahrung, einem "Weibchen"[10] und nach Ausruhen.[11]
Der Wilde kennt kein Eigentum,[12] er ist Einzelgänger, es bestehen keine Beziehungen und demnach auch keine Abhängigkeiten untereinander, er ist frei.[13] Mann und Frau treffen sich nur zufällig zum Geschlechtsverkehr und trennen sich danach wieder.[14] Weder ist wirkliches Denkvermögen vorhanden, noch existiert eine Verständigung, die man Sprache nennen könnte. Überhaupt ist es für Rousseau nahezu unwahrscheinlich, dass Sprache, Denken und letztendlich auch Gesellschaft, entstehen konnten. Sprache und Denken bedingen sich nach Rousseau genauso gegenseitig, wie Sprache und Gesellschaft.[15]
Der Wilde kennt nicht die Eigenliebe, die darauf bedacht ist, sich selbst den größten Wert beizumessen und nach Rousseau erst in einem gesellschaftlichen Zustand entsteht, sondern er kennt nur die Selbstliebe, die lediglich auf die Selbsterhaltung abzielt. Der Wilde ist deshalb nicht von Natur aus böse, wie Hobbes annimmt, sondern eher gutmütig, weil er weder die Begriffe Gut und Böse kennt, noch von Leidenschaften besessen ist, die erst in der Eigenliebe ihre Ursache finden. Vielmehr lebt in ihm das natürliche Gefühl von Mitleid, welches in der Konsequenz zu einem friedlichen "Miteinander"[16] führt.[17]

2.2 Folgerungen für den Gleichheitsbegriff

Der Naturzustand Rousseaus unterscheidet sich grundsätzlich von den diesbezüglichen, gleichfalls viel diskutierten, Vorstellungen von Thomas Hobbes und John Locke. Während der Naturzustand von Hobbes durch den Krieg alle gegen alle ("bellum omnium contra omnes") gekennzeichnet ist,[18] gibt es bei Locke immerhin einen Naturzustand, der zumindest vor Einführung des Eigentums von relativer Friedfertigkeit war.[19]
Welche Bedeutung hat dies nun für den Begriff der Gleichheit?
Hobbes und Locke gehen dahingehend konform, dass im Naturzustand die Gleichheit darin besteht, dass jeder das Recht auf "alles" hat und jeder tun kann, was er will und in diesem Sinn frei ist. Da dieses Recht bei Hobbes keinerlei Einschränkungen hat,[20] und der Mensch von Natur aus böse ist,[21] führt dies automatisch zum Krieg aller gegen alle. Die Gleichheit und Freiheit ist, in einem Naturzustand Hobbesscher Prägung, daher als ein Muster ohne Wert anzusehen.
Bei Locke ist dies anders. Das Recht auf "alles" ist durch das Naturrecht auf den Eigenverbrauch beschränkt.[22] Dieses Naturrecht, welches der menschlichen Vernunftbegabung entspringt, schreibt gleichzeitig vor, dass das Leben, die Freiheit, die Gesundheit und der Besitz der Menschen untereinander unbedingt zu achten ist.[23] Solange es keine Gründe für Streitigkeiten gibt, ist der Lockesche Naturzustand daher überwiegend friedlicher Natur. Die Menschen leben in einem Zustand relativer Gleichheit, da dem Anhäufen von Besitztümern natürliche Grenzen gesetzt sind, und die Natur gleichzeitig für alle genügend Güter bereit hält.[24] Locke begrenzt allerdings die Gleichheit unter den Menschen dahingehend, dass er einzelnen einen Vorrang über andere beispielsweise aus Alter, Geburt, Tüchtigkeit oder einer besonderen Begabung zugesteht.[25]
Obgleich zwischen Locke und Rousseau - wie noch gezeigt werden wird - viele Parallelen bestehen,[26] muss aus Rousseaus Ansatz etwas anderes folgen. Sein Wilder des Naturzustandes muss die Vernunft - aus der Lockes` Naturgesetz folgt - gar nicht kennen,[27] sein "Friedensstifter" ist das natürliche Mitleid, welches er mit dem Tier gemeinsam hat. Sein Wilder hat darüber hinaus auch keine Vorstellung von Eigentum, so dass Ungleichheit aus Besitz für Rousseaus Naturzustand keine Bedeutung hat. Was als bedeutendes Merkmal von Ungleichheit zwischen den Wilden übrig bleibt, ist letztlich das Alter, da Bildung unbekannt ist und auch die Stärke im Naturzustand bei allen in etwa gleich ausgeprägt ist. Ebenso wie die Krankheiten erst durch Verweichlichung entstehen, kommt auch der Unterschied der körperlichen Stärke im wesentlichen erst durch Verweichlichung zustande. Verweichlichung ist im Naturzustand allerdings undenkbar.[28]
Rousseau kommt daher zu dem Schluss, bewiesen zu haben, dass "die Ungleichheit im Naturzustand kaum spürbar ist und daß sie dort fast keinen Einfluß hat"[29].
Kritisch ist hier anzumerken, dass Rousseaus Argumentation zwar durchaus schlüssig ist, aber darauf aufbaut, dass der Mensch von Natur aus Einzelgänger ist. Eine Annahme, die trotz aller Plausibilitätsprüfungen,[30] eben doch immer eine Annahme bleibt.
Der Wilde Mensch - untereinander von Natur aus nahezu gleich - ist, wenn man Rousseau auf die Spitze treibt, leider vom Tier verschieden. Ohne die nur dem Mensch eigene Fähigkeit, sich zu vervollkommnen, d.h. seine Perfektibilität, hätte der Mensch im Naturzustand bleiben können und auf ewig ein "glückliches"[31] Dasein fristen können.[32]

Doch das Schicksal nimmt seinen Lauf...

3 Die gesellschaftliche Ungleichheit

Das Adjektiv "gesellschaftlich" ist hierbei gleichermaßen richtig und doch auch falsch gewählt. Obgleich Rousseau es versäumt, mittels einer entsprechenden Terminologie selbst für Klarheit zu sorgen, folgt der Verfasser der Auffassung, dass die nachfolgend skizzierte Entstehung der gesellschaftlichen Ungleichheit bereits im Naturzustand einsetzt. Es handelt sich hierbei allerdings nicht mehr um den ursprünglichen Naturzustand, sondern um einen Zwischenzustand, der nur sofern als Naturzustand zu bezeichnen ist, als er eben noch nicht gesellschaftlicher Zustand ist. Hieraus erklärt sich auch die Wahl des Titels für den nachfolgenden Abschnitt.

3.1 Übergang zum gesellschaftlichen Zustand

Eine Weiterentwicklung der Menschen, die nicht wieder mit dem Tod endet, sondern von Generation zu Generation andauert, ist ohne Gemeinschaft zwischen den Menschen nicht vorstellbar. Da es nicht so ohne weiteres einsichtig ist, wieso der selbstzufriedene Wilde sein beschauliches Umherstreifen aufgeben sollte, nimmt Rousseau an, dass es Naturkatastrophen waren, die die Menschen zusammenbrachten, da sie einen gewissen Zwang zum Zusammenleben erzeugten.[33] Bis dahin hatte der Mensch - in einer unüberschaubaren Zeitspanne - nur klägliche "kleine" Fortschritte, wie etwa die Erfindung von Angel, Pfeil und Bogen sowie das Erlernen der Nutzung des Feuers gemacht. In metaphysischer Hinsicht war er zur Wahrnehmung seiner selbst und zur Erkenntnis der Gleichartigkeit seiner Artgenossen gelangt.[34]
Erst durch den Zwang zum Zusammenleben entwickelte sich die Sprache, die zuvor nicht feiner entwickelt war, als etwa die Laute der Affen.[35] Die Entwicklung der Sprache hatte katalysierende Wirkung für die weitere Entwicklung - die Menschen gehen dazu über einen festen Wohnsitz zu nehmen, es entstehen verschiede Gruppen und "schließlich in jeder Weltgegend ein eigenes Volk, das durch Sitten und Charakter geeint ist"[36]. Die Menschen begannen einander zu achten und wollten ihrerseits geachtet werden, neben die Selbstliebe trat die Eigenliebe und dies ist für Rousseau der erste Schritt zur Ungleichheit zwischen den Menschen.[37]
Obgleich sich die Menschheit zu jenem Zeitpunkt schon weit vom ursprünglichen Naturzustand entfernt hatte, handelt es sich für Rousseau dennoch nicht um einen gesellschaftlichen Zustand, da die Völker allein durch Sitten und Charakter und nicht durch Gesetze und Verordnungen geeint sind.[38]
Die Erfindung von Ackerbau und Metallbearbeitung beenden diesen relativ glücklichen Abschnitt der menschlichen Entwicklungsgeschichte.[39] Bis dahin waren die Menschen nicht voneinander abhängig. Ackerbau und die Metallbearbeitung begründen jedoch die Arbeitsteilung und damit ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis.[40]
Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der von Rousseau geschilderte Ablauf des Übergangs vom Naturzustand zu einem gesellschaftlichen Zustand nicht notwendigerweise ein historisches Faktum darstellen muss. Es ist nur ein mögliches, für Rousseau wahrscheinliches, Szenario. Rousseau behauptet allerdings, dass sich aus allen anderen, auf seinem Naturzustand aufbauenden Szenarien, die gleichen Schlussfolgerungen bezüglich seines Untersuchungsgegenstandes (Ursprung und Grundlagen der Ungleichheit) ziehen lassen würden.[41] So ist es für Rousseau beispielsweise letztendlich gleichgültig wie der Mensch zur Arbeitsteilung fand - seine nachfolgenden Schlüsse, bezüglich der Bedeutung der Arbeitsteilung für die Ungleichheit zwischen den Menschen, beruhen nicht auf dem Weg dorthin, sondern einzig auf dem Faktum, dass der Mensch, zu irgendeinem Zeitpunkt seiner Entwicklung, die Arbeitsteilung erfand. Die Menschen, die sich der Metallbearbeitung widmeten, mussten von anderen Menschen ernährt werden. Der Ackerbau war demnach eine logische Folge der Erfindung anderer Künste, deren erste für Rousseau die Metallverarbeitung war.[42] Im Naturzustand ist Ackerbau für Rousseau hingegen unvorstellbar, da er das Eigentum an Grund und Boden voraussetzt bzw. unweigerlich zur Folge hat.[43] Eigentum führt jedoch zu jenen Streitigkeiten, die den Naturzustand bei Hobbes generell, sowie den Naturzustand Lockes (nach Erfindung des Eigentums), kennzeichnen.[44] Um den Krieg aller gegen alle zu vermeiden, werden nun Gesetze - ein Kennzeichen des gesellschaftlichen Zustands - notwendig, deren notwendiger Anspruch auf Allgemeingültigkeit, eines grundlegenden Gesellschaftsvertrags bedarf.[45]
Hier zeigt sich bereits die Inkonsequenz der Rousseauschen Terminologie. Eigentum wird im Naturzustand nur auf das Recht des ersten Besitznehmers begründet - welches streng genommen kein Recht ist, da nach Rousseau vorgesellschaftlich auch noch nicht von Recht gesprochen werden kann.[46] Zwar differenziert Rousseau durchaus zwischen diesem Recht (welches eigentlich kein Recht ist) und dem wirklichen Recht,[47] weist jedoch nicht durchgängig auf diesen Unterschied hin. Der wohlwollende Interpret - der beständig berücksichtigt von welchem Sozialisationszustand Rousseau jeweils spricht - wird diese Ungereimtheiten vielleicht auflösen, anderen Interpreten wird damit allerdings Tür und Tor geöffnet, um Rousseau im harmlosen Fall einfach unglaubwürdig zu machen oder um ihn für seine eigenen Zwecke einzuspannen.

3.2 Folgerungen für den Gleichheitsbegriff


Während Rousseaus ursprünglicher Wilder sich metaphysisch nur durch seine Fähigkeit zur Perfektibilität vom Tier unterscheidet und abgesehen von dieser Fähigkeit allein körperlich dem gleicht, was sich heute allgemein unter dem Begriff Mensch vorstellen lässt, hat der Mensch nun einen Entwicklungsstand erreicht, in dem die Vernunft aktiviert ist und der Geist fast vollständig sein Potential ausschöpfen kann.[48] Der auch schon zuvor entwickelte Drang nach Anerkennung[49] findet in der Befähigung zur Akkumulation von Eigentum neue Möglichkeiten. Die an dieser Stelle von Rousseau benannten "Ungleichheitsfaktoren" Geschicklichkeit, Fleiß und Stärke, führen dazu, dass sich Reichtum und Armut herausbilden.[50] Es ist zu fragen, woraus sich diese Ungleichheit erklärt, da der Mensch im Naturzustand sich doch durch Gleichheit auszeichnet.

"Ungleichheitsfaktoren"
Der "Ungleichheitsfaktor" Fleiß wurde von Rousseau bis dahin lediglich zwischen Völkern festgestellt, wobei diese Ungleichheit jedoch keinen qualitativen Aspekt besaß, da sie einzig auf Notwendigkeiten - hervorgerufen durch klimatische und geologische Bedingungen - beruhte.[51] Rousseau bleibt im wesentlichen eine Antwort darauf schuldig, wie es jetzt zu dieser unterschiedlichen Ausprägung von Fleiß kommt. Da er hier jedoch nicht wörtlich den Begriff Fleiß, sondern den entgegengesetzten Begriff Trägheit verwendet, ließe sich argumentieren, dass nicht alle vom "Virus der Eigenliebe" im gleichen Maße infiziert sind und daher auch noch Menschen im natürlichen Zustand der Trägheit verharren.[52] Somit läge auch hier keine qualitative Wertung vor.
Die Differenzierung hinsichtlich der Stärke und auch hinsichtlich der Geschicklichkeit erklärt sich aus Verweichlichung, die bereits ab dem Zeitpunkt Wirkung zeigt, an dem die Menschen begannen in Gruppen zusammenzuleben.[53]
Sollte die dargelegte Argumentation nicht fehl gehen, so wirft sie das Problem auf, dass nun einerseits der naturnähere Mensch noch träge genug ist, um nicht nach Reichtum zu streben, andererseits aber gerade ihm die Vorzüge hinsichtlich Stärke und Geschicklichkeit zukommen müssten, die für den Erwerb von Reichtum erforderlich sind.[54]
Diesen Einwand beiseite lassend, spitzt sich die Situation der Menschen dadurch dramatisch zu, dass es irgendwann keine nutzbaren Flächen mehr zu verteilen gibt. Einerseits wird dadurch die Armut der Trägen, weniger geschickten oder weniger starken zementiert - andererseits eskaliert der Kampf um mehr Anerkennung dadurch, dass das korrespondierende Mehr an Eigentum nun nur noch durch Raub und Unterjochung zu erreichen ist.[55]

Eigentum als primäres Anerkennungsmerkmal
Rousseau bleibt eine Erklärung dafür schuldig, wie sich das Eigentum als primäres Anerkennungsmerkmal durchsetzen konnte. Wie kam es etwa dazu, dass Anerkennung nicht mehr mehrheitsgebunden war, sondern die Anerkennung der sich entwickelnden Minderheit der Reichen ausreichend war? Im Ergebnis handelt es sich dann um einen negativen Anerkennungsbegriff, bei dem der Reiche seine Anerkennung aus dem Neid der Mehrheit bezieht. Hierin wäre dann Rousseaus positives Menschenbild angreifbar.

Nach Rousseau waren es die Reichen, die auf den Gedanken kamen, Recht und Gesetz mittels Vertrag abzusichern. Indem sie der trägen leicht verführbaren Masse der Menschen vorgaukelten, dass durch Gesetze, die - ohne Ansehen der Person - gleichermaßen für die Schwachen und Starken sowie für die Reichen und Armen gelten, die Gleichheit wieder hergestellt werden könnte. Während die Masse nicht durchschaute, dass hierdurch das Gesetz von Eigentum und Ungleichheit auf ewig als unwiderrufliches Recht festgelegt wurde, unterstellt er den Reichen, dass sie dies durchschauten und auch beabsichtigten.[56]
An dieser Stelle setzt sich Rousseau deutlich von Locke ab, dem er ansonsten in vielen Ansätzen durchaus folgt.

Exkurs: Parallelen Rousseau - Locke (Ohne Anspruch auf Vollzähligkeit):
  • Das Recht auf Eigentum leitet sich allein aus der Arbeit ab.[57]
  • Ein Recht auf Zuwachs des Eigentums über den notwendigen Eigenbedarf hinaus bedarf der Zustimmung aller.[58]
  • Vor Erfindung des Geldes leben die Menschen weitgehend friedlich zusammen.[59]
  • Ablehnung der Ableitung eines Herrschaftsanspruchs aus der väterlichen Autorität.[60]
  • Änderungen der Verfassung durch die eingesetzten Oberhäupter führt zur Aufhebung des Gesellschaftsvertrags.[61]


Der wesentliche Unterschied zwischen Rousseau und Locke besteht darin, dass Locke sowohl das Eigentum, als auch die Legitimation für die Akkumulation desselben, schon im Naturzustand entstehen lässt und somit bereits der Naturzustand von Ungleichheit geprägt ist. Nach Rousseau wird jedoch mit Erfindung des Eigentums schon der Übergang zum gesellschaftlichen Zustand eingeleitet[62] - im ursprünglichen Naturzustand sind die Menschen gleich. Selbst, wenn man die Anfänge des Eigentums auch bei Rousseau in den Naturzustand verlegt, so bleibt der gewichtige Unterschied bestehen, dass nach Locke das Recht auf Akkumulation von Eigentum, welches über den notwendigen Eigenbedarf hinausgeht, automatisch durch die Erfindung des Geldes begründet wurde (stillschweigende Übereinkunft), während Rousseau auf eine ausdrückliche Übereinkunft besteht.[63]
Wie Rousseau sich einen Gesellschaftsvertrag vorstellt, der seinen Vorstellungen von der ursprünglichen Natur des Menschen entspricht legt er in seinem "Gesellschaftsvertrag" da.

4 Rousseaus Lösungsansatz

Daraus, dass Rousseau in seinem "Gesellschaftsvertrag" nicht direkt auf die oben skizzierte Abhandlung Bezug nimmt, kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, "wie irrelevant die Gestalt des wahren Naturzustands - das große Thema des Discours - nun für ihn geworden ist."[64] Herb, der diese Ansicht vertritt, übersieht dabei, dass Rousseaus, im folgenden behandelter, Ansatz der Volkssouveränität, auf das im "Discours" (gemeint ist die "Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen") entworfene Menschenbild aufbaut. Ohne einen von Natur aus eher gutmütigen Menschen und ohne die von Rousseau dort ebenfalls festgestellte natürliche Gleichheit der Menschen, ist der gesamte Ansatz von Rousseaus "Gesellschaftsvertrag" von vorneherein fragwürdig. Der Verfasser neigt daher zu der Ansicht, dass der "Gesellschaftsvertrag" auf dem "Discours" aufbaut bzw. dessen konsequente Fortsetzung darstellt. Während der "Discours" die bestehenden Verhältnisse kritisiert, und ihre Rechtmäßigkeit mittels Rückführung auf einen Naturzustand verneint, verlässt Rousseau nun den Standpunkt des bloßen Kritikers und entwirft sein eigenes Modell einer Gesellschaft.

4.1 Rousseaus Gesellschaftsvertrag

"Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten."[65] Da dieser gesellschaftliche Zustand nicht aus der Natur abgeleitet werden kann[66] und sich der Mensch auch nicht freiwillig in diesen Zustand hat begeben können,[67] gilt es eine Form des Zusammenschlusses zu finden, "die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitglieds verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genauso frei bleibt wie zuvor"[68] (im Naturzustand).

Eigentum
Dass Rousseau hier das Eigentum ausdrücklich als schützenswertes Gut benennt, kann zwar als Relativierung des ursprünglichen Gleichheitsgedankens verstanden werden, andererseits ist die Existenz von Eigentum aber auch das Faktum, welches überhaupt erst einen Gesellschaftsvertrag vonnöten macht.[69] Ein Gesellschaftsvertrag wird sich somit notwendig um die Belange des Eigentums kümmern müssen. Eine Einordnung Rousseaus in eine bestimmte Richtung kann daher - sofern dies überhaupt möglich ist - erst dann vorgenommen werden, wenn die Qualität dieses Schutzes - und damit seine Auswirkungen auf die Gleichheit - näher bestimmt ist.

Die Lösung obigen Problems besteht für Rousseau in der völligen "Entäußerung jedes Mitglieds (der Gesellschaft d.V.) mit allen seinen Rechten an das Gemeinwesen als Ganzes."[70]
Die öffentliche Person die aus diesem Zusammenschluss entsteht ist eine Republik. Rousseau stellt hier den Bezug zur griechischen Polis her, sodass die Republik als die moderne Variante der Polis erscheint. Für Rousseau ist die Republik die einzig legitime Staatsform.[71] Eine später erfolgende Einteilung in Demokratie, Aristokratie und Monarchie bezieht sich nicht - wie im allgemeinen üblich - auf die Staatsform, sondern nur auf die Regierungsform, d.h. auf die Exekutivgewalt.[72] Eine Republik wiederum ist bei Rousseau ausschließlich dann gegeben, wenn die Legislative direkt und ausschließlich beim Volk liegt. Die Möglichkeit der Repräsentation ist nach Rousseau ausgeschlossen.[73] Alle Mitglieder der Gemeinschaft stellen daher in ihrer Gesamtheit die Legislative, den Souverän dar.[74] Oberste Richtschnur der Gemeinschaft ist der Gemeinwille (Volonté générale). Dieser schwer zu fassende Begriff bedarf einer besonderen Erläuterung:

Volonté générale

  • Jeder Mensch als Individuum hat einen nur den eigenen Vorteil bedenkenden Willen, den sogenannten Sonderwillen oder Einzelwillen.[75]
  • Aus der Gesamtheit dieser Einzelwillen ergibt sich der Gesamtwille (Volonté de tous), der nicht mit dem Gemeinwillen identisch ist.[76]
  • Der Gemeinwille lässt sich als der Wille begreifen, der resultiert, wenn vom Gesamtwillen diejenigen Sonderwillen abgezogen werden, die auf einer Gegnerschaft zu einem anderen Sonderwillen beruhen.[77]
  • Der Gemeinwille ist eng gekoppelt mit dem Begriff des Gemeinwohls. Es ist derjenige Wille, der den Staat, entsprechend des Zwecks seiner Errichtung (dem Gemeinwohl), leiten kann.[78]
  • Insofern der Gemeinwille, immer derjenige Wille ist, der auf das Gemeinwohl abzielt, kann er auch nicht irren.[79] Allerdings folgt daraus nicht notwendig, dass "die Beschlüsse des Volkes immer gleiche Richtigkeit haben."[80] Im Fall des Irrtums, wird durch die Abstimmung des Volkes nicht der Gemeinwille, sondern der Gesamtwille bestimmt.[81]

Aus dem letzten Punkt wird die Hauptproblematik des Konstrukts ersichtlich. Wie ist es möglich, sicherzustellen, dass aus Abstimmungen der Gemeinwille und nicht der Gesamtwille hervorgeht. Rousseau hat diese Problematik durchaus deutlich vor Augen und hält daher folgende Maßnahmen für erforderlich:

  • Die Summe der Einzelwillen führt dann zum Gemeinwillen, wenn jeder Bürger zum einen gut informiert ist und zum anderen seine Entscheidung völlig autonom trifft. Im nicht realistischen Idealfall hieße dies betreff der autonomen Entscheidung, dass die Bürger keinen Kontakt zueinander haben dürften.[82] Da dies natürlich widersinnig ist, muss nach Rousseau sichergestellt werden, dass es keine Parteiungen gibt. Parteiungen, welche dann jede für sich einen Sonderwillen bezüglich des Staates repräsentieren, verschleiern die Meinungsvielfalt und führen daher zu einem weniger allgemeinen Abstimmungsergebnis.[83]
  • Da Rousseau gleichzeitig davon ausgeht, dass auch sein Ideal eines gut informierten - d.h. aufgeklärten - Volkes, nicht der Realität entspricht,[84] sieht er vor, zwar die Abstimmung über Gesetze dem Souverän zu überlassen, die Abfassung der Gesetze aber einem eigens zu bestimmenden Gesetzgeber[85] zu überantworten.[86]

Welche Schlüsse bezüglich der Gleichheit lassen sich nun aus dieser Gesellschaftsordnung ziehen, deren wesentliche Eckpunkte der den Gemeinwillen hervorbringende Souverän (Legislative), eine nur im Ausnahmefall personell identische Exekutive,[87] ein sogenanntes Tribunal[88] und der Gesetzgeber sind.

4.2 Folgerungen für den Gleichheitsbegriff

Der Naturzustand ist durch weitgehende Gleichheit geprägt - sogar hinsichtlich der Stärke und den geistigen Fähigkeiten des Menschen. "Bleibendes Eigentum"[89] ist unbekannt. Welches sind nun die Maßstäbe für Gleichheit, die sich in einem gesellschaftlichen Zustand anlegen lassen? Die aus der Natur[90] erwachsene physische Ungleichheit ist kein Maßstab für diese Gesellschaft. Es gilt im Gegenteil, dafür zu sorgen, "daß die Menschen, die möglicherweise nach Stärke und Begabung ungleich sind, durch Vertrag und Recht alle gleich werden"[91]. So hat die Stimme jedes Bürgers, unabhängig von Herkunft, Bildung, Eigentum oder Stärke, bei der Ermittlung des Gemeinwillens das gleiche Gewicht.[92]

Aus Rousseaus "Emile" geht allerdings hervor, dass er den Frauen den Status eines Bürgers eher aberkennt. Dies steht im Widerspruch zu seiner Annahme, dass Mann und Frau zunächst von Natur aus (sieht man vom Geschlecht ab) gleich waren, wie sich aus seiner "Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen" ergibt. Dort stellt sich die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern erst ein, als Familien gegründet wurden.[93]

Abgesehen von diesem Einwand, schränkt Rousseau die Gleichheit dadurch ein, dass er Unterschiede bezüglich des Ausmaßes an Macht und Reichtum zulässt.[94] Sieht man von der Gleichheit bezüglich der Stimmabgabe und der in jedem Rechtstaat - zumindest theoretisch gegebenen - Gleichheit vor dem Gesetz ab, sind dies allerdings die gewichtigsten Gesichtspunkte, unter denen es den Gleichheitsbegriff zu untersuchen gilt.

Während der Eigentumsbegriff genau geklärt wird und bezüglich der ungleichen Verteilung des Eigentums eine ganze Reihe von einschränkenden Bedingungen bestehen, bleibt der Machtbegriff verschwommen. Mit "Macht" wird von Rousseau zunächst der Staat hinsichtlich seines Außenverhältnisses zu anderen Staaten bezeichnet. Durch den Gesellschaftsvertrag wird die natürliche Freiheit, in welcher der Besitz "nur eine Folge der Stärke oder des Rechts des ersten Besitznehmers ist"[95] aufgegeben, zugunsten der bürgerlichen Freiheit, in der das Eigentum "nur auf einen ausdrücklichen Titel gegründet werden kann"[96]. Zwischen den Staaten besteht das Recht des ersten Besitznehmers allerdings fort.[97] Sofern dies der Bezug des Machtbegriffs ist, bleibt unklar, wie innerhalb eines Staates Macht zwischen den Bürgern weiterbestehen kann. Klarer fassbar wäre der Machtbegriff, wenn er auf die von Rousseau nicht behandelte Wirtschaftsordnung des Staates bezogen wäre,[98] dann läge eine enge Bindung des Machtbegriffs an den Eigentumsbegriff vor, für den sich eindeutigere Bestimmungen finden lassen.
Das "Recht" des ersten Besitznehmers wird in der Gesellschaft zu einem wirklichen Recht erhoben. Unter Beachtung einiger Bedingungen kann aus diesem Recht Eigentum begründet werden:[99]

  • Das Gebiet ist unbewohnt.
  • Der Besitz wird durch Arbeit begründet.
  • Der Besitz geht nicht über den zum eigenen Unterhalt notwendigen hinaus.

Rousseau macht hierbei keine expliziten Angaben darüber, was unter dem recht dehnbaren Begriff "eigener Unterhalt" zu verstehen ist.[100] Es finden sich allerdings weitere Bestimmungen, aus denen Rückschlüsse bezüglich der Verteilung des Eigentums gezogen werden können:

  • Kein Bürger soll so vermögend sein, "sich einen anderen kaufen zu können, und keiner so arm, daß er gezwungen wäre sich zu verkaufen."[101] Alle sollen etwas besitzen und niemand soll zu viel besitzen.[102]
  • Gleichheit ist nur verwirklichbar, wenn dem Reichtum Grenzen gesetzt sind.[103]
  • Das Ausmaß an Eigentum ist dem - auf das Gemeinwohl abzielenden - Gemeinwillen unterworfen, welcher für Rousseau naturgemäß zur Gleichheit neigt.[104]
  • Da für Rousseau die Gerechtigkeit ein von der Gleichheit erzeugter Begriff ist,[105] kann auch hieraus auf Grenzen der ungleichen Eigentumsverteilung geschlossen werden. Es ist hierbei ohne Belang, ob diese Ableitung korrekt ist, entscheidend ist, dass Rousseau damit unterstellt, wer die Notwendigkeit von Gerechtigkeit bejaht (wer tut dies nicht?), wird gleichzeitig auch zur Gleichheit neigen müssen. Der Endzweck jeder Gesetzgebung ist die Freiheit und die Gleichheit, wobei die Freiheit ohne Gleichheit keinen bestand haben kann.[106]
  • Ein letzter Hinweis findet sich bei Rousseaus Überlegungen zu den Regierungsformen[107].
    Regierungsformen
    Es ist nicht nur zu beachten, dass sich der Demokratiebegriff hier ausschließlich auf die Ausübung der Exekutivgewalt bezieht, sondern auch die Besonderheit des fließenden Übergangs zwischen Demokratie und Aristokratie. Eine Demokratie ist gegeben, wenn mehr als die Hälfte aller Bürger an der Regierung beteiligt sind, eine Aristokratie dann, wenn die Beteiligung bei weniger als der Hälfte liegt. Dies bedeutet vor allem hinsichtlich der Aristokratie einen sehr großen Spielraum, der von nahezu der Hälfte aller Bürger, bis hin zu nur zwei Bürgern besteht.[108]

    Rousseau gibt keiner Regierungsform den absoluten Vorzug. Die Wahl der besten Regierungsform ist abhängig von den Gegebenheiten des jeweiligen Staates, wobei Größe (Bevölkerungszahl) und Reichtum die zentralen Faktoren sind. Die Monarchie passt demnach "nur für wohlhabende Nationen, die Aristokratie für sowohl an Reichtum als auch an Größe mittlere Staaten, die Demokratie für kleine und arme Staaten."[109] Aus den Betrachtungen der einzelnen Regierungsformen geht gleichzeitig hervor, dass auch ein Zusammenhang zwischen der Regierungsform und der Verteilung des Eigentums besteht.[110] So ist für die Demokratie eine weitgehende Gleichheit der Vermögen erforderlich,[111] während in der Aristokratie strenge Gleichheit fehl am Platze ist. Letzteres folgt für Rousseau daraus, dass die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung sinnvollerweise jenen übertragen werden soll, "die ihr am ehesten ihre ganze Zeit widmen können"[112]. Weshalb Rousseau nicht stattdessen eine Aufwandsentschädigung für die öffentlichen Ämter vorsieht, ist hier nicht Gegenstand der Betrachtung. Viel bedeutsamer für seine Gleichheitsabsichten ist die Frage danach, welcher Staat Rousseau denn nun tatsächlich vor Augen steht. Einerseits kann Rousseau zwar keiner Regierungsform den Vorzug geben, da die "richtige Regierungsform" eine abhängige Variable ist - andererseits finden sich jedoch Hinweise bezüglich seiner Prioritäten in Bezug auf die beeinflussende Variable "Größe des Staates".
    Schon bei seinem Kapitel über die Monarchie macht Rousseau deutlich, dass er es für schwierig hält, große Staaten gut zu regieren.[113] An anderer Stelle findet sich die Bemerkung: "im allgemeinen ist ein kleiner Staat verhältnismäßig stärker als ein großer"[114]. Rousseau findet zwar sowohl Gründe, die für eine Vergrößerung als auch welche, die für eine Verkleinerung des Staates sprechen, schließt jedoch, dass erstere den letzteren unterzuordnen sind.[115] Zuletzt kommt er gar zu dem Schluss, alleine ein kleiner Staat gewähre die Aussicht auf dauerhaften Bestand der Volkssouveränität.[116]
    Es lässt somit auf eine Priorität Rousseaus für einen kleinen Staat schließen. Sofern dieser arm ist, wäre eine demokratische Regierungsform die Folge - andernfalls vermutlich eine Aristokratie mit relativ hoher Beteiligung.[117]

Im Rückschluss dieser langen Überlegungen ließe sich schließlich ableiten, dass sich in den Vorstellungen Rousseaus die Ungleichverteilung des Eigentums in engen Grenzen hält.

5 Zusammenfassung

Das grundsätzliche Problem bei Rousseau liegt darin, dass er sich einerseits von den Naturrechtsbegriffen distanziert, diese jedoch andererseits scheinbar beständig heranzieht. Rousseau hätte diesen Fehler vermeiden können, wenn er bei seiner Aufzählung der Begriffe, welche die Philosophen fälschlicherweise vom gesellschaftlichen Zustand auf den Naturzustand übertragen haben,[118] den Begriff des Rechts hinzugefügt hätte. Andererseits hätte er dann eine ganz neu Terminologie erfinden müssen. Rousseau hat dies - wie wir wissen - nicht getan. Seine Leser müssen daher damit leben, dass Recht nicht immer Recht ist und auch damit, dass Natur nicht immer naturgemäß bedeutet. Letzteres Problem ergibt sich dadurch, dass einerseits der Naturzustand Rousseaus streng genommen mit dem Beginn der Sozialisation des Menschen aufhört, andererseits aber noch ein weiter Weg zu gehen ist, bis von Gesellschaft gesprochen werden kann. Obgleich dieses Übergangsstadium einer Entfremdung von der Natur gleichkommt, werden die in diesem Stadium hervorgebrachten Ungleichheiten von Rousseau indirekt als von der Natur hervorgebracht bezeichnet. Rousseau lässt sich daher nur dann relativ widerspruchsfrei lesen, wenn man eine Zweiteilung des Naturzustands annimmt. Einerseits der ursprüngliche Naturzustand (vor der Sozialisation des Menschen) der von nahezu völliger Gleichheit geprägt ist - und andererseits der Naturzustand ab der Sozialisation des Menschen, der besser als vorgesellschaftlicher Zustand zu bezeichnen wäre. Aus der Betrachtung des ersteren ergibt sich, dass der Mensch von Natur aus gleich ist, während sich aus der Beleuchtung des letzteren der Verfall dieser Gleichheit erklärt.[119]
Im "Gesellschaftsvertrag" zeigt Rousseau schließlich auf, welche Staatsverfassung für ihn geeignet erscheint, die natürliche Gleichheit soweit als eben möglich wieder herzustellen.
Hierbei hält er das im "Übergangsstadium" entstandene Eigentum[120], welches gleichzeitig die ungleiche Verteilung desselben mit sich bringt, für ein nicht mehr rückgängig zu machendes Faktum. Im Ergebnis sieht er allerdings eine Gesellschaft vor, in der diese Ungleichheit auf das Nötigste beschränkt wird. Trotz aller Verschleierungen verfolgt Rousseau daher nicht nur vorgeblich, sondern auch tatsächlich die Absicht, "daß der Grundvertrag (der Gesellschaftsvertrag d.V.), anstatt die natürliche Gleichheit zu zerstören, im Gegenteil eine sittliche und rechtliche Gleichheit an die Stelle dessen setzt, was die Natur an physischer Ungleichheit unter den Menschen hervorbringen kann, und daß die Menschen, die möglicherweise nach Stärke und Begabung ungleich sind, durch Vertrag und Recht alle gleich werden"[121].

Epilog oder Bemerkungen außerhalb des Untersuchungsgegenstandes[122]

Totalitarismus- und Liberalismusvereinnahmung:
Rousseaus Staat ist weder totalitär, noch ist er - im Sinne des Wirtschaftsliberalismus - liberal. Derartige Schlüsse können nur ohne Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs gefolgert werden.
Totalitär kann er deshalb nicht sein, weil dem aufmerksamen Leser Rousseaus nicht entgehen kann, dass die Legislative grundsätzlich immer beim Volk liegt, im Konfliktfall mit der Exekutive das Tribunal als Vermittler auftritt, des weiteren auch gegen eine Übermacht des Tribunals Vorsichtsmaßnahmen ergriffen wurden und zuletzt, selbst der, für den Notstand vorgesehenen, in dieser Arbeit nicht berücksichtigten, Diktatur[123] enge Grenzen gesetzt sind. Rousseau hat weder die Französische Revolution und das napoleonische Zeitalter noch die Diktaturen eines Hitlers oder Stalins als geschichtlichen Horizont. Seine Begriffswahl kann daher auch nicht unter diesem Horizont beurteilt werden.
Wirtschaftsliberal kann sein Staat deshalb nicht sein, weil der ungleichen Verteilung des Eigentums enge Grenzen gesetzt sind und darüber hinaus, das wesentliche Merkmal des Liberalismus, die liberale Wirtschaftsverfassung, von Rousseau gar nicht thematisiert wird.
Daraus, dass Rousseau die natürliche Freiheit des Menschen soweit als eben möglich in der bürgerlichen Freiheit der Gesellschaft erhalten möchte, kann nicht ohne weiteres auf eine entsprechend liberale Wirtschaftsverfassung geschlossen werden. Wer dies tut, übersieht, dass dies den von Rousseau gezogenen engen Eigentumsgrenzen zuwiderläuft.
Rousseaus Unterlassungssünden:
Da die Verteilung des Eigentums unweigerlich eine von der Wirtschaftsverfassung abhängige Größe ist, wäre es von Rousseau angebracht gewesen, hierzu Stellung zu nehmen. Er hat dies ebenso unterlassen, wie eine Stellungsnahme zur ebenfalls verteilungsrelevanten Erbschaft. In diesem Sinne bleibt Rousseau an der Oberfläche. Er gibt einen Rahmen vor, innerhalb dessen in dieser Hinsicht alles möglich ist. Eine Wirtschaftsverfassung und auch eine Erbschaftsregelung müssen sich allerdings daran messen lassen, ob sie den von Rousseau gezogenen Grenzen gerecht werden.
Der Verfasser neigt zu der Ansicht, dass es insbesondere zwei Gründe für die diesbezüglich Selbstzurückhaltung Rousseaus gibt:

  • Rousseau hatte ursprünglich vor ein wesentlich umfangreicheres Werk hinsichtlich der Gesellschaft zu schreiben, so gesehen ist der "Gesellschaftsvertrag" lediglich ein Fragment.
  • Es kann geschlossen werden, dass der "Gesellschaftsvertrag" keineswegs als Utopie gedacht ist, sondern auf eine tatsächliche Realisierung abzielt. Gerade deswegen könnte der Knackpunkt Wirtschaftsverfassung unberücksichtigt geblieben sein. Aus selbigem Grund ließe sich auch die Tatsache erklären, dass Rousseaus Vorstellungen bezüglich des Eigentums nicht wirklich konkret werden, sondern nur im Gesamtzusammenhang herausgearbeitet werden können.

Arbeitsthese: Ohne Anhängerschaft in etablierten Schichten ist ein Umbau eines bestehenden Staates unmöglich.
Dies ist auch unter dem Hintergrund zu sehen, dass Rousseau sehr wohl erkennt, dass die größte Schwierigkeit der Gesetzgebung nicht darin besteht, neue Gesetze zu erlassen, sondern darin, die bestehende Gesetzgebung zu überwinden.[124]

Rousseau und der moderne Staat:

Rousseaus Staat ist ein kleiner und zugleich möglichst autarker Staat. Im Zeitalter der (vor allem wirtschaftlichen) Globalisierung somit eigentlich ein Auslaufmodell. Genauso, wie Rousseau - bei seinem Entwurf - das Eigentum als ein bestehendes Faktum berücksichtigen musste, ist heute die wirtschaftliche Globalisierung und auch die Herausbildung von multinationalen Staatengemeinschaften zu beachten. Sind beispielsweise die überwiegende Mehrzahl der Einzelstaaten der EU schon zu groß für einen Staat Rousseauscher Prägung, so wird sein Modell spätestens für die übergeordnete Struktur der EU indiskutabel. Wer tatsächliche Volkssouveränität auf ein solches Gebilde anwenden möchte, dem bleibt es überlassen ein entsprechendes Modell zu entwickeln, eine Berufung auf Rousseau ist in jedem Fall unredlich.

Es ist allerdings diskussionswürdig, in wie weit Rousseaus Ansätze nicht spätestens auf Ebene der Kommunen Berücksichtigung finden könnten.



Literaturverzeichnis


Herb, Karlfriedrich (1993):

Naturgeschichte und Recht. Rousseaus Weg vom Discours sur l'inégalité zum Contrat social.

In: Zeitschrift für Politik 40 (1993), Heft 3, S. 355-371.


Hobbes, Thomas (2000):

Leviathan. Erster und zweiter Teil.

Übersetzung von Jacob Peter Mayer, Nachwort von Malte Disselhorst,

Stuttgart.


Locke, John (1998):

Zwei Abhandlungen über die Regierung.

Übersetzt von Hans Jörn Hoffmann. Herausgegeben und eingeleitet von Walter Euchner, 7. Auflage,

Frankfurt am Main.


Rousseau, Jean Jacques (1998a)

Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen.

Aus dem Französischem übersetzt und herausgegeben von Philipp Rippel,

Stuttgart.


Rousseau, Jean Jacques (1998b)

Gesellschaftsvertrag.

Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts.

In Zusammenarbeit mit Eva Pietzcker neu übersetzt und herausgegeben von Hans Brockard,

Stuttgart.



Fussnoten


[*] Rousseau 1998a, S. 33. Wenn auch dort in einem anderen Zusammenhang gebraucht. Hier soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass weder die Interpreten Rousseaus, noch Rousseau selbst einer derartigen Prüfung unterzogen werden und dass die Sekundärliteratur und damit die in ihr herausgearbeiteten "Tatsachen" unberücksichtigt bleiben.
[1] Originaltitel: Discours sur l'origine et les fondemens de l'inegalité parmi les hommes.
[2] Vollständiger Titel: Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts. Originaltitel: Du contract social ou principes du droit politique.
[3] Vgl. Rousseau 1998a, S. 32.
[4] Vgl. Rousseau 1998a, S. 32 f.
[5] Vgl. Rousseau 1998a, S. 33 und S. 35. Wobei hier (S. 33) das im Prolog verwendete Zitat fällt. Rousseau lässt ironisch die "Tatsachen" der Bibel außer acht, nach denen es niemals einen Naturzustand hat geben können, da der Mensch von Anbeginn an durch Gott mit Denkvermögen und Geboten ausgestattet wurde.
[6] Vgl. Rousseau 1998a, S. 37.
[7] Vgl. Rousseau 1998a, S. 38 f.
[8] Wobei der "Wilde Mensch" von Krankheiten weitgehendst verschont bleibt, da Rousseau - sich auf Platon berufend - davon ausgeht, dass Krankheiten im großen und ganzen erst durch Verweichlichung entstehen - ein Zustand, der erst dem in gesellschaftlichen Verhältnissen lebenden Menschen zuzuschreiben ist. Vgl. hierzu Rousseau 1998a, S. 39-41.
[9] Vgl. Rousseau 1998a, S. 44.
[10] Von Rousseau gebrauchter Begriff, der verdeutlicht, dass es sich um eine männliche Perspektive handelt. Vgl. Rousseau, 1998a, S. 47.
[11] Vgl. Rousseau 1998a, S. 46 f.
[12] Vgl. Rousseau 1998a, S. 51 und S. 65.
[13] Vgl. Rousseau 1998a, S. 58.
[14] Vgl. Rousseau 1998a, S. 51 f.
[15] Vgl. hierzu Rousseau 1998a, S. 48-57 - insbesondere S. 52 (Sprache versus Denken) und S. 57 (Sprache versus Gesellschaft).
[16] Sofern man von einem Miteinander sprechen kann, wenn die Begegnungen eher zufälliger Natur sind.
[17] Vgl. Rousseau 1998a, S. 59-62, S. 151 f und Rousseaus zusammenfassende Beschreibung des Naturzustandes S. 68 f.
[18] Hobbes 2000, I, XIII, S. 115.
[19] Vgl. z.B. Locke 1998, II §49, S. 230 und II §51, S. 231.
[20] Vgl. Hobbes 2000, I, XIV, S. 118 f.
[21] Vgl. Hobbes 2000, I, XIII, S. 112 ff.
[22] Vgl. z.B. Locke 1998, II §27, S. 216 f; II §31, S. 218 f und II §37, S. 223.
[23] Vgl. Locke 1998, II §4, S. 201 und II §6, S. 203.
[24] Vgl. Locke 1998, II §49, S. 230 und II §51, S. 231.
[25] Vgl. Locke 1998, II §54.
[26] Vgl. Abschnitt 3.2 dieser Arbeit
[27] Eine ausgeprägte Vernunft ist für Rousseau erst im gesellschaftlichen Zustand erforderlich. Vgl. Rousseau 1998a, S. 59.
[28] Vgl. Rousseau 1998a, S. 69 f.
[29] Rousseau 1998a, S. 71.
[30] Vgl. etwa Rousseau 1998a, Anmerkung l, S. 144-150 - in Verbindung mit den Anmerkungen e (S. 120 f) und h (S. 124). Dort wird Lockes Annahme zurückgewiesen, dass die Gemeinschaft zwischen Frau und Mann auch nach der Zeugung, für einen langen Zeitraum der Kindererziehung aufrecht erhalten werden muss. Dabei macht er sich u.a. geschickt zu nutze, dass er entgegen der thesenstützenden Annahme Lockes - Menschen seien "Fleischfresser" - in seinen Anmerkungen e und h, plausible Gründe für die gegenteilige Annahme angeführt hat. Locke wiederum sagt selbst, dass die pflanzenfressenden Tierarten diese Gemeinschaft nach der Zeugung nicht pflegen. Obgleich Rousseau auch dieser letzten Annahme nicht folgt und andere Begründungen liefert, die den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden, macht er doch damit deutlich, dass wenn man Locke im allgemeinen glauben schenkt, daraus im Umkehrschluss folgen würde, dass der Mensch ein Einzelgänger ist.
[31] Wobei an dieser Stelle weder untersucht werden kann, inwiefern das bewusste Wahrnehmen dieses Zustands durch den Wilden erforderlich ist, um von "glücklich" sprechen zu können - noch, ob der Wilde Rousseaus zu einer solchen Wahrnehmung fähig sein könnte. Rousseau spricht daher auch folgerichtig nicht von Glück, sondern von ruhigen und unschuldigen Tagen.
[32] Vgl. Rousseau 1998a, S. 45 f.
[33] Vgl. Rousseau 1998a, S. 80.
[34] Vgl. Rousseau 1998a, S. 75-77.
[35] Vgl. Rousseau 1998a, S. 78.
[36] Rousseau 1998a, S. 80.
[37] Vgl. Rousseau 1998a, S. 81.
[38] Vgl. Rousseau 1998a, S. 80.
[39] Sofern ließe sich der Rousseausche Naturzustand gar in drei Abschnitte unterteilen:
Der Naturzustand vor Beginn der Sozialisation, der Naturzustand von Beginn der Sozialisation bis zur Erfindung der Arbeitsteilung und der Naturzustand nach Erfindung der Arbeitsteilung.
[40] Vgl. Rousseau 1998a, S. 84.
[41] Vgl. Rousseau 1998a, S. 72.
[42] Vgl. Rousseau 1998a, S. 86.
[43] Vgl. Rousseau 1998a, S. 49 f und 86 f.
[44] Vgl. oben Abschnitt 2.2.
[45] Vgl. Rousseau 1998a, S. 90-93.
[46] Vgl. hierzu Rousseau 1998a, S. 90 und Rousseau 1998b, S. 22 f.
[47] Vgl. Rousseau 1998b, S. 22 ff.
[48] Vgl. Rousseau 1998a, S. 88.
[49] Vgl. oben Abschnitt 3.1.
[50] Vgl. Rousseau, 1998a S. 88 f.
[51] Vgl. Rousseau, 1998a S. 47.
[52] Vgl. zur Bedürfnislosigkeit des Wilden: Rousseau, 1998a S. 36 und S. 47 - und zum natürlichen Widerwillen des Menschen gegen fortgesetzte Arbeit: Rousseau, 1998a S. 49.
[53] Vgl. Rousseau 1998a, S. 69 und S. 79 f. Dies gilt für die Geschicklichkeit allerdings nur, falls Rousseau in ihnen eine geistige Fähigkeit sieht, deren negative Beeinflussung er (S. 69), in Analogie zur körperlichen Stärke, der Verweichlichung zuschreibt.
[54] Vgl. hierzu auch Rousseau 1998a S. 32. Dort gibt Rousseau selbst an, dass er in der nachfolgenden Abhandlung erklären wolle "durch welches Ineinandergreifen von Wundern der Starke sich entschließen konnte, dem Schwachen zu dienen".
[55] Vgl. Rousseau 1998a, S. 89 f.
[56] Vgl. Rousseau 1998a, S. 92 f.
[57] Vgl. Rousseau 1998a, S. 87 und Locke 1998, II §27, S. 216 f.
[58] Vgl. Rousseau 1998a, S. 91 und Locke 1998, II §50, S. 230 f.
[59] Vgl. Rousseau 1998a, S. 82. An dieser Stelle bezieht sich sogar ausdrücklich auf Locke. Siehe auch Locke 1998 II §49, S. 230 und II §51, S. 231.
[60] Vgl. Rousseau 1998a, S. 98 und Rousseau 1998b S. 6 f sowie Locke 1998, I §73, S. 125 f und II Kapitel 6 - insbesondere §65, S. 239f.
[61] Vgl. Rousseau 1998a, S. 102 sowie Locke 1998, II §155, S. 297 f; §222, S. 338 f und §225, S. 341.
[62] Vgl. auch Rousseau 1998b, S. 12.
[63] Vgl. Rousseau 1998a, S. 91 und Locke 1998, II §50, S. 230 f.
[64] Herb, 1993, S. 369.
[65] Rousseau 1998b, S. 16. Rousseau fügt hinzu, dass er nicht weiß, wie dieser Wandel zustande gekommen ist. Aber auch daraus kann nicht geschlossen werden, dass sein im "Discours" entworfener Naturzustand nun bedeutungslos für ihn geworden ist. Diese Aussage bezieht sich nach Auffassung des Verfassers ausschließlich darauf, dass er den Wandel nicht mit historischem Wahrheitsanspruch erklären kann. So bemerkte Rousseau auch schon im "Discours", dass sein dort beschriebenes Szenario des Übergangs, vom Naturzustand zum gesellschaftlichen Zustand, nur ein mögliches und nicht notwendigerweise ein historisches darstellt. Vgl. hierzu Rousseau 1998a, S. 72 und auch oben Abschnitt 3.1.
[66] Vgl. Rousseau 1998b, S. 6 und S. 10.
[67] Vgl. Rousseau 1998b, S. 11 f.
[68] Rousseau 1998b, S. 17.
[69] Vgl. oben Abschnitt 3.2.
[70] Rousseau 1998b, S. 17. Ein Satz, der aus dem Zusammenhang gerissen, für allerlei Deutungen missbraucht werden kann. Er zeigt beispielhaft auf, wie es keine großen Probleme bereitet, Rousseau so zu zitieren, wie es der eigenen Absicht - mit Rousseau gesprochen, dem eigenen Sonderinteresse - geeignet erscheint.
[71] Vgl. Rousseau 1998b; S. 41.
[72] Vgl. hierzu Rousseau 1998b, S. 70-72. Sofern es unterlassen wird, auf diesen gewichtigen Unterschied hinzuweisen, lässt sich auch hiermit allerlei "Unfug" treiben.
[73] Vgl. hierzu Rousseau 1998b, S. 61 und S. 103.
[74] Vgl. Rousseau 1998b, S. 18 f.
[75] Vgl. Rousseau 1998b, S. 21und Rousseau 1998b S. 27.
[76] Vgl. Rousseau 1998b, S. 31.
[77] Vgl. Rousseau 1998b, S. 31. Als Formalismus ließe sich dies etwa wiefolgt formulieren:
GMW = GSW - SWi - SWj. Wobei formallogisch gilt: SWi = SWj.
Abkürzungen: GMW Gemeinwille, GSW Gesamtwille, SW Sonderwille.
[78] Vgl. Rousseau 1998b, S. 27. Hier wird gleichzeitig der oben (S. 10 f) zitierte Satz bezüglich des Schutzes des Eigentums relativiert. Auch der Schutz des Eigentums ist dem Gemeinwohl untergeordnet.
[79] Vgl. Rousseau 1998b, S. 30 und S. 33.
[80] Rousseau 1998b, S. 30.
[81] Vgl. Rousseau 1998b, S. 30 f und S. 112-114.
[82] Was zum einen die Nichtexistenz einer Gesellschaft bedeuten würde und zugleich die Unmöglichkeit der Information zur Folge haben dürfte.
[83] Vgl. Rousseau 1998b, S. 31 f.
[84] Womit er zwar nicht von seinem im Discours dargestelltem Menschenbild (der Mensch ist grundsätzlich gut) abweicht, aber doch den bestehenden Ungleichheiten bezüglich Begabung und Bildung Rechnung trägt.
[85] Ein etwas irreführender Begriff, da das Volk die gesetzgebende Gewalt inne hat. Es handelt sich somit eigentlich um den Gesetzesverfasser.
[86] Vgl. Rousseau 1998b, S. 42. Vgl. weiterhin 43-47, betreffend der nahezu göttlichen Eigenschaften - die im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter diskutiert werden können - die dieser Gesetzgeber mit sich bringen muss.
[87] Dies folgt daraus, dass die Akte der Exekutive auf den Einzelfall zielen, während der Souverän in seiner Eigenschaft als Gesetzgeber (Gesetzesverabschieder) aber nur für das Allgemeine zuständig ist. Für die Fähigkeit zur Herausbildung des Gemeinwillens ist es von Nachteil, wenn sich die gleiche Körperschaft auch mit Einzelfällen befasst. Vgl. hierzu etwa Rousseau 1998b, S. 61 f und S. 72. Die "Personalunion" von Legislative und Exekutive ist für Rousseau nur denkbar, wenn es sich um einen sehr kleinen Staat handelt, in dem einfache Sitten, weitgehende Gleichheit und wenig oder gar kein Luxus vorhanden sind. Vgl. hierzu Rousseau 1998b, S. 73.
[88] Mit aller Vorsicht gesprochen lässt sich darunter - obgleich es sich hierbei nach Rousseau um kein Verfassungsorgan handelt (Vgl. Rousseau 1998b S. 133) - eine Art Verfassungsgerichtsbarkeit vorstellen. Es ist eine nicht beständig bestehende Körperschaft, die - als "Bewahrerin der Gesetze und der Legislative" (Rousseau 1998b, S. 133) - in Fällen gestörter Beziehungen, zwischen den Verfassungsorganen Exekutive und Legislative, die vermittelnde Funktion zukommt. In Wahrnehmung der Aufgabe, das Gleichgewicht zwischen Legislative und Exekutive zu erhalten, kann das Tribunal - in bestimmten Fällen - auch die Regierung vor dem Volk schützen. Vgl. hierzu Rousseau, 1998b S. 132-134.
[89] Ausdruck Rousseaus - vgl. Rousseau 1998b, S. 12. Zur Kritik dieses Begriffes vergleiche auch oben Abschnitt S. 3.1 und unten Fußnote 96.
[90] Auch hier wird deutlich, dass Rousseau seinen Naturbegriff nicht konsequent durchhält. In der Rousseauschen Terminologie müsste strenggenommen ergänzt werden, dass sich "Natur" hier bereits auf das Stadium der Sozialisation bezieht.
[91] Rousseau 1998b, S. 26.
[92] Zumindest findet sich kein konkreter Hinweis darauf, dass dem nicht so sein sollte.
[93] Vgl. hierzu Rousseau 1998a, S. 78 f. Diesen Widerspruch aufzuklären (etwa unter Berücksichtigung Rousseaus Biografie), würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Ein allgemeiner - nicht nur Rousseau betreffender - Hinweis sei dem Verfasser jedoch gestattet:
Es ist redlich und wichtig, jedem seine Widersprüche aufzuzeigen; es ist aber unredlich aus einem Widerspruch in einem Bereich, auf die Nichtigkeit eines gesamten Ansatzes zu schließen, falls dies nicht zwingend daraus folgt. Oder mit einem Bild gesprochen: Ein falsch konstruiertes Zahnrad führt dazu, dass der gesamte Motor nicht funktioniert. Niemand würde jedoch auf die Idee kommen, deshalb die gesamte Konstruktion zu verwerfen, sondern lediglich das Zahnrad neu konstruieren.
[94] Vgl. Rousseau 1998b, S. 56.
[95] Rousseau 1998b, S. 22 f. Dieses "Recht" ist streng genommen kein Recht, da von Recht erst in der Gesellschaft gesprochen werden kann. Vgl. hierzu oben Abschnitt 3.1.
[96] Rousseau 1998b, S. 23. Der Eigentumsbegriff ist hier gekoppelt an den Rechtsbegriff, weshalb im Naturzustand eigentlich niemals von Eigentum, sondern nur von Besitz gesprochen werden kann. Allerdings hält Rousseau diese Terminologie (beispielsweise in seiner "Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen") selbst nicht konsequent ein. Vgl. hierzu oben Abschnitt 3.1. Auch im "Gesellschaftsvertrag" wird an anderer Stelle (S. 12) gesagt, dass es im Naturzustand kein "bleibendes Eigentum" geben könnte.
[97] Vgl. Rousseau 1998b, S. 23.
[98] Ließe sich unter Vorbehalt aus Rousseau 1998b, S. 23 ableiten. Insgesamt bleibt der Begriff nach Auffassung des Verfassers allerdings unscharf.
[99] Vgl. zur folgenden Aufzählung: Rousseau 1998b, S. 24 und auch oben (Abschnitt 3.2) den Exkurs bezüglich der Parallelen von Rousseau und Locke.
[100] Zwar lassen sich die Vorstellungen unseres heutigen Rechtssystems nicht unbedingt auf Rousseau übertragen, dennoch ist es augenscheinlich so, dass es den gegenwärtigen Menschen im allgemeinen kein Problem bereitet, wenn selbst der Unterhalt eines Kindes nicht am Bedarf dieses Kindes, sondern am Vermögen der Eltern orientiert ist - somit der eigene Unterhalt eine Größe darstellt, die nicht eigentumsbegrenzend, sondern eigentumsabhängig ist.
[101] Rousseau 1998b, S. 57. Rousseau trägt hier der "Macht des faktischen" Rechnung, da es nach ihm überhaupt kein Recht gibt, auf das sich die Veräußerung der Freiheit gründen ließe. Vgl. hierzu Rousseau 1998b, S. 10 ff.
[102] Vgl. Rousseau 1998b, Fußnote auf S. 26.
[103] Vgl. Rousseau 1998b, S. 48. Dort bezieht sich Rousseau auf Platon, der es ablehnte "den Arkadiern und Kyrenäern Gesetze zu geben, wohl wissend, daß diese beiden Völker reich waren und Gleichheit nicht ertragen konnten" (ebd.). Obgleich diese Aussage auf den Reichtum der Völker bezogen ist, macht sie doch erst bei einer ungleichen Verteilung des Reichtums innerhalb des jeweiligen Volkes Sinn.
[104] Vgl. Rousseau 1998b, S. 27.
[105] Vgl. Rousseau 1998b, S. 33.
[106] Vgl. Rousseau 1998b, S. 56.
[107] Vgl. auch oben Abschnitt 4.1.
[108] Vgl. Rousseau 1998b, S. 70 f.
[109] Rousseau 1998b, S. 86. Vgl. auch Rousseau 1998b, S. 71 f.
[110] Dies gilt zumindest für die Demokratie und die Aristokratie.
[111] Vgl. Rousseau 1998b, S. 73.
[112] Rousseau 1998b, S. 76.
[113] Vgl. Rousseau 1998b, S. 79.
[114] Rousseau 1998b, S. 50.
[115] Vgl. Rousseau 1998b, S. 50 ff.
[116] Vgl. Rousseau 1998b, S. 105.
[117] Vgl. oben, "Regierungsformen".
[118] Vgl. oben Abschnitt 2.1.
[119] Hieraus lässt sich auch die Gliederung dieser Arbeit erklären. So wurde im Abschnitt über die natürliche (Un)Gleichheit (Abschnitt 2) der eigentliche Naturzustand behandelt (Abschnitt 2.1), während im Abschnitt über die gesellschaftliche Ungleichheit (Abschnitt 3) im korrespondiereden Abschnitt 3.1 nicht vom gesellschaftlichen Zustand sondern vom Übergang zum gesellschaftlichen Zustand gesprochen wird, der sofern der Auffassung des Verfassers gefolgt wird, den zweiten Teil des Naturzustands kennzeichnet.
[120] Welches auf das Recht (welches streng genommen kein Recht ist, da vorgesellschaftlich noch nicht von Recht gesprochen werden kann) des ersten Besitznehmers begründet wird.
[121] Rousseau 1998b, S. 26. An diesem Zitat werden gleichfalls nochmalig alle, in der Zusammenfassung und im Verlauf der Arbeit erklärten, Probleme der Rousseauschen Terminologie deutlich.
[122] Im allgemeinen ohne weitere Quellennachweise. Der engagierte Leser möge sich zum einen an die ein oder andere Textstelle und an die ein oder andere Fußnote der vorliegenden Arbeit erinnern und zum anderen - was wichtiger ist - Rousseaus Gesellschaftsvertrag einer eigenen diesbezüglichen Untersuchung unterziehen.
[123] Vgl. hierzu Rousseau 1998b, Viertes Buch, Kapitel 6.
[124] Vgl. Rousseau 1998b, S. 56.